Frühe Hilfen-Konferenz Rudolf Grothues, September 16, 2020September 17, 2020 Das Gefühl abgehängt, in die Ecke gedrängt zu sein, keine gute Ausgangsposition zu haben, nicht teilnehmen, nicht dabei sein können … das gönnt man niemandem. Und doch mutet unsere reiche Gesellschaft das jedem 5. Kind zu. Damit begrüße ich Sie ganz herzlich zur Frühe Hilfen-Konferenz hier im Stadttheater, meine sehr geehrten Damen und Herren, es freut mich, dass so viele dem Aufruf des Fachdienstes Kinder-, Jugend- und Familienförderung gefolgt sind und sich heute mit dem Thema „Aufwachsen in Armutslagen“ beschäftigen werden. „Wir sind die Summe der Erfahrungen, die wir machen. Für ein Hartz IV-Kind zählen aber auch die, die es nicht macht wie Familienurlaub, Klassenausflug, Musikunterricht oder einfach mal ein Eis essen gehen“, so fasst es Undine Zimmer zusammen, die heute hier vortragen wird, und die ich ganz herzlich begrüßen möchte. Sie werden aus Ihrem Buch „Nicht von schlechten Eltern. Meine Hartz IV-Familie vortragen“. Ich bin schon sehr gespannt auf Ihren ganz persönlichen Erfahrungsbericht. Es freut mich sehr, dass Sie heute hier sind und jenseits aller Klischees davon berichten, wie es sich anfühlt, in Armut aufzuwachsen. Ich begrüße ebenfalls ganz herzlich Heike Gründken, die von ihrer Arbeit im Lunch Club Ahlen berichten wird, der Kindern eine kostenlose Mahlzeit ebenso bietet wie Hausaufgabenbetreuung und weitere Unterstützung. Ein herzliches Willkommen gilt auch Ihnen! Sie werden den Teilnehmenden dieses nachahmenswertes Projekt näherbringen. Mit den beiden Referentinnen steigen Sie gleich voll ein in die Fragen, Problemstellungen und Herausforderungen ein, was es bedeutet wenig Geld zu haben und welche Lösungen es für Kinder geben kann, die in einem armen Elternhaus aufwachsen müssen. Ich knüpfe noch einmal an den Anfang meiner Rede an: Wenn 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland in Armut aufwachsen, dann ist das alarmierend. Diese Zahl verharrt leider auf hohem Niveau trotz bis dato wachsender Wirtschaft und sinkenden Arbeitslosenzahlen. Die Coronakrise wirkt sich noch als zusätzlicher Verstärker aus. Doch es darf nicht sein, dass die Kinder ihr verbrieftes Recht auf faire Bildungschancen und Teilhabe oftmals nicht ausschöpfen können. Da ist zum einen die finanzielle Seite: Die Mitgliedschaft im Sportverein, der Klavier- oder Reitunterricht oder der Besuch des Freizeitparks kosten Geld. Geld, das Kindern in armen Familien oft nicht zur Verfügung steht. Es ist aber noch mehr: Auch die Pflege von Freundschaften fällt Kindern in Armutslagen häufig schwerer, weil sie nicht zu sich nach Hause einladen mögen, weil sie kein Geld für gemeinsame Hobbies haben, weil oft zudem eine gute Internetverbindung oder ein Handy fehlt für die Kontaktpflege und das gemeinsame Erleben. Oft fehlen auch Rückzugsorte oder ein ruhiger Ort zum Lernen. Die Mobilität ist eingeschränkt, wenn der Familie kein Auto zur Verfügung steht. Oft fehlt das Geld für neue Kleidung, für das Geburtstagsgeschenk. Sie hören es, es fehlt an allen Ecken und Enden, und das prägt die Kinder früh und nachhaltig. Armut beschämt, wenn der Vergleich des Zuhauses hinkt, wenn Geburtstagseinladungen ausgeschlagen werden müssen, weil kein Geld für ein Geschenk vorhanden ist, wenn der eigene Geburtstag nicht gefeiert werden kann, wenn für Klassenfahrten oder Freizeitangebote Anträge gestellt werden müssen, wenn Ausreden gefunden werden müssen für den Kinoabend oder das Eisessen mit Gleichaltrigen. Armut bestimmt das Leben der Kinder, weil sie sich Sorgen um die finanzielle Situation der Familie machen statt unbeschwert groß zu werden, weil sie in fast allen Lebensbereichen Einschränkungen erfahren, weil sie auch bei der Bildung trotz gleicher Leistungen frühzeitig unter ihren eigentlichen Möglichkeiten bleiben müssen, weil ihr Alltag von Verzicht und Mangel geprägt ist. Derlei Erfahrungen haben Einfluss darauf, wie ein junger Mensch seinen Platz in der Gesellschaft findet, das Wohlbefinden und das Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft nehmen Schaden, was wiederum zu Perspektivlosigkeit und Frustration bis ins Erwachsenenalter führen kann. Damit hat Armut Folgen für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für das Sozialsystem. Darum müssen wir dieses Thema sehr ernst nehmen. Und das tun Sie heute! Vielen Dank dafür! Ich danke dem Fachdienst Kinder-, Jugend- und Familienförderung für die Organisation der Konferenz, besonders Ihnen Frau Steinhoff. Liebe Teilnehmende, ich bin davon überzeugt, dass Sie von hier viele neue und wichtige Impulse für Ihre Arbeit mitnehmen werden. Soziales